Dienstag, 16. Dezember 2025 GastroNews – Magazin für Profis
Konzepte & Business

Ghost Kitchens: Goldgrube oder Geisterstadt? Das Erfolgsrezept der unsichtbaren Restaurants

Küchen, die brummen – und niemand sieht sie: Ghost Kitchens haben die Gastronomie seit der Pandemie kräftig durcheinandergewirbelt. Für manche sind sie Effizienz-Wunder, für andere das Sinnbild einer seelenlosen Essensfabrik. Doch lohnt sich das Modell wirklich für gastronomische Betriebe im DACH-Raum – gerade jetzt, wo sich der Markt stabilisiert? Dieser Artikel zeigt, was hinter dem Hype steckt und wo echte Chancen liegen.

1. Das Restaurant ohne Stühle

Stellen Sie sich vor, Sie betreten eine Küche im Vollbetrieb: Pfannen klirren, Dampf steigt auf, das Bestell-Tablet piept im Minutentakt. Doch keine Gäste, keine Tische, kein Service – stattdessen stehen Lieferfahrer in einer Reihe und warten auf Tüten. Dieses Bild beschreibt den Alltag vieler Ghost Kitchens.

Was während der Pandemie ein Überlebensanker war, hat sich längst zum eigenen Gastronomie-Segment entwickelt. Marktanalysen wie jene von Euromonitor prognostizieren, dass der globale Ghost-Kitchen-Markt von rund 71 Milliarden US-Dollar (2023) bis 2030 auf über 157 Milliarden anwachsen wird. Das zeigt: Wir reden nicht mehr über ein Krisenphänomen, sondern über ein langfristiges Geschäftsmodell.

Food-Trend-Forscherin Hanni Rützler bringt es im Interview mit Nestlé Professional auf den Punkt: „Die Alltagsgastronomie verändert sich durch die wachsende Beliebtheit von Food-Delivery-Services grundlegend.“ Für Gastronomen stellt sich die Frage: Mitmachen, ignorieren – oder geschickt integrieren?

2. Mehr als nur „Lieferdienst“: Modelle der Ghost Kitchen

Ghost Kitchen ist nicht gleich Ghost Kitchen. Hinter dem Begriff verstecken sich verschiedene Konzepte, die unterschiedliche Risiken, Kosten und Chancen mitbringen.

Independent Ghost Kitchen

Hier mietet ein Betreiber eine Küche – häufig in B-Lage oder einem Gewerbegebiet – und produziert Speisen für eine oder mehrere eigene Marken. Kein Gastraum, kein Fenster zur Straße, dafür maximale Kontrolle.

Shared oder Commissary Kitchens

Große Anbieter wie Kitchen United oder CloudKitchens haben das Prinzip professionalisiert: Sie betreiben zentrale Küchenzentren mit dutzenden Einzelküchen, die Gastronomen stunden- oder monatsweise mieten. Die Infrastruktur – Lüftung, Geräte, Reinigung – ist inklusive. Für Start-ups ist dieses Modell ideal, um schnell ohne hohe Anfangsinvestitionen zu skalieren.

Virtual Brands

Das Modell, das für klassische Gastronomen am relevantesten ist: Ein bestehendes Restaurant nutzt seine Küche doppelt. Beispiel: Eine Pizzeria entwickelt eine zweite Marke für Veggie-Burger, die ausschließlich auf Liefer-Apps erscheint. In derselben Küche entstehen so zwei völlig unterschiedliche Konzepte – ohne zusätzliche Pacht oder Personalaufwand.

Entscheidend ist: Ghost-Kitchen-Konzepte sind weit mehr als „wir machen jetzt auch Lieferservice“. Oft werden mehrere Marken gebündelt, um verschiedene Zielgruppen anzusprechen. Das Prinzip dahinter ist so einfach wie effektiv: Wenn die Pasta-Marke gerade nicht läuft, performt vielleicht die Bowl-Marke nebenan – aus derselben Küche.

3. Die Vorteile: Warum Investoren das Modell lieben

Warum fließt Risikokapital so gerne in Ghost-Kitchen-Start-ups? Weil das Modell auf dem Papier unglaublich effizient wirkt.

Radikal niedrigere Fixkosten

Ein voll ausgestatteter Gastraum verursacht Miete, Einrichtungskosten und hohe laufende Ausgaben. Bei Ghost Kitchens entfällt das komplett. Kellerräume, Hinterhöfe oder Gewerbeflächen reichen – und die Einrichtungskosten liegen oft bei nur 20.000 bis 60.000 Euro, wie Analysen von Lumos Business zeigen.

Weniger Personal

Servicekräfte, Barpersonal, Host – all das braucht eine Ghost Kitchen nicht. Die Personalkosten konzentrieren sich auf die Küche, was die Kostenstruktur deutlich schlanker macht.

Hohe Flexibilität

Wenn eine Marke nicht funktioniert, wird sie ersetzt. Ohne Schildwechsel, ohne Renovierung. Innerhalb weniger Stunden kann ein Konzept „von Tacos auf Bowls“ drehen. Für Investoren ist diese Elastizität ein Traum – und auch für Gastronomen interessant, die neue Ideen testen möchten.

Skalierbarkeit

Thomas Primus, CEO von FoodNotify, sagt es so: „Ghost Kitchens bieten eine kostengünstige Möglichkeit, in neue Stadtteile oder Städte zu expandieren und neue Kunden zu erreichen.“ Wer ein Menü digital denkt, kann theoretisch unendlich viele Standorte eröffnen – immer dort, wo Delivery-Daten genügend Nachfrage zeigen.

4. Die Schattenseiten: Abhängigkeit und Anonymität

So strahlend die Vorteile wirken – die Realität der Ghost-Kitchen-Branche ist härter, als manche Pitch-Decks vermuten lassen.

Plattform-Monopol

Ohne Lieferando, Uber Eats oder Wolt existieren Ghost Kitchens quasi nicht. Doch die Plattformen kassieren großzügig: 25 bis 30 Prozent Provision sind branchenüblich. Für viele Betreiber bleibt die Marge dadurch empfindlich dünn.

Teures digitales Marketing

Keine Laufkundschaft bedeutet: Sichtbarkeit muss erkauft werden. Social Ads, Influencer-Kooperationen, App-Rankings, Fotoshootings – die Customer Acquisition Cost (CAC) entscheidet über Erfolg oder Scheitern. Wie ein Betreiber in einem Interview einmal formulierte: „Unser Gastraum ist das Internet. Wenn das Foto auf der App nicht appetitlich aussieht, haben wir den Gast verloren.“

Fehlendes Gästeerlebnis

Essen ist mehr als Kalorien – und das spüren Ghost Kitchens oft schmerzhaft. Ein kritischer Gastronom fasste es treffend zusammen: „Eine Ghost Kitchen liefert Kalorien, aber keine Gastfreundschaft.“ Ohne unmittelbares Feedback vor Ort landet jede Unzufriedenheit direkt als schlechte Bewertung im Netz.

Verpackungsproblem

Verpackung ist in Ghost Kitchens die einzige physische Schnittstelle zum Gast. Doch sie verursacht Müllberge – und manche Speisen überstehen die 20-minütige Fahrradtour nicht unbeschadet. Labbrige Pommes sind ein Klassiker, den wohl jede Lieferküche kennt.

5. Praxis-Beispiele aus der DACH-Region

Einige Player zeigen, wie unterschiedlich das Modell funktionieren kann.

Vertical Food (Berlin)

Das Unternehmen betreibt mehrere Marken – darunter Vadolì oder Spyces – zentralisiert aus wenigen großen Küchen. Partner wie Unilever Food Solutions unterstützen bei Skalierung und Rezeptentwicklung. Der Ansatz: Effizienz durch Bündelung und starke Markenführung.

Eatclever (Hamburg)

Eatclever kocht nicht selbst, sondern arbeitet mit Partnerrestaurants zusammen, die das Konzept in ihren bestehenden Küchen umsetzen. Das Start-up gilt als Vorreiter für „Feelgood Food“ und zeigt, wie Virtual Brands ohne große Investition skaliert werden können.

Internationale Beispiele

Die Green Summit Group in den USA hat das Prinzip auf die Spitze getrieben: bis zu 14 Marken aus einer Küche. Der Kunde denkt, er bestellt bei Spezialisten – tatsächlich kommt alles aus derselben Produktionslinie.

Klassische Restaurants nutzen freie Kapazitäten

Viele Gastronomen setzen Ghost-Kitchen-Modelle ein, um ihre Küche zu Stoßzeiten auszulasten oder um das Mittagstief zu überbrücken, etwa mit Bowls, Dumplings oder Salaten als zusätzliche virtuelle Marke.

6. Checkliste: So starten Sie Ihre eigene Virtual Brand

Bevor Sie jetzt den zweiten Markenauftritt planen – hier die wichtigsten Punkte im Überblick.

Menü-Engineering

Nicht jedes Gericht eignet sich für Delivery. Fragen Sie sich:

Gerichte wie Currys oder Bowls funktionieren gut – Soufflés oder perfekt gebratene Steaks eher weniger.

Verpackung

Die Verpackung ist Ihr Markenbotschafter. Sie sollte

und im Idealfall nachhaltig sein. Branding lohnt sich, weil es der einzige analoge Kontaktpunkt zum Kunden ist.

Tech-Stack

Wer mehrere Plattformen nutzt, braucht Ordnung im Bestellchaos. Nutzen Sie Middleware-Lösungen, die Bestellungen von Lieferando, Wolt und Uber Eats bündeln. Ein Gerät, ein Bon-Drucker – statt drei Tablets, die gleichzeitig Alarm schlagen.

Fazit: Zukunft der unsichtbaren Gastronomie

Ghost Kitchens sind weder die Revolution der Gastronomie noch deren Untergang. Sie sind ein Werkzeug – und wie jedes Werkzeug funktionieren sie nur mit der richtigen Strategie. Die Vorteile liegen klar auf der Hand: niedrige Kosten, Flexibilität, schnelle Skalierung. Gleichzeitig erfordert das Modell professionelle Marketingstrukturen und ein Produkt, das auch auf dem Fahrrad überlebt.

Für viele Betriebe im DACH-Raum dürfte besonders die Virtual-Brand-Variante interessant sein: vorhandene Küchenkapazität nutzen, ohne große Investition. Die Zukunft? Wahrscheinlich eine Mischform: Restaurants, die vor Ort begeistern – und parallel digitale Marken betreiben, um neue Zielgruppen zu erreichen.

Wenn Sie jetzt prüfen, welche Gerichte Ihres Sortiments lieferfähig sind und ob Sie ungenutzte Kapazitäten haben, sind Sie Ihrer Konkurrenz vielleicht schon einen kleinen Schritt voraus.

Kurz-Check für Ihren Betrieb

(Ende)

Weitere Bilder