1. Mehr als nur Sushi
Stellen Sie sich vor, Ihre Gäste betreten Ihr Lokal und fühlen sich sofort so wohl wie im Wohnzimmer guter Freunde – entspannt, neugierig, hungrig. Genau dieses Gefühl vermitteln Izakayas in Japan. Und zwar täglich, zu Tausenden: Über 80.000 dieser Kneipen gibt es dort laut Angaben von Oryoki.de.
Während hierzulande die japanische Küche oft mit Sushi-Bar oder Ramen-Shop gleichgesetzt wird, schlägt der eigentliche Herzschlag der japanischen Gastro-Szene erst nach Feierabend. Ab dann strömen Büroangestellte, Studierende und Stammgäste in jene kleinen, warm beleuchteten Räume, die zwar eng und manchmal laut sind – aber genau das macht ihren Charme aus. Es geht um Lockerheit statt Etikette, um Miteinander statt Menüfolge.
Wer verstehen will, warum diese Mischung international zum Trend wird, findet im Izakaya das beste Beispiel. Das „Wohnzimmer-Feeling“ ist keine Marketingidee – es ist gelebte Alltagskultur, die sich erstaunlich gut auf hiesige Konzepte übertragen lässt.
2. Das Izakaya-Prinzip: Japans Wohnzimmer
Ein Izakaya (居酒屋) bedeutet wörtlich ein Ort zum Sitzen und Trinken – also eine Art Mischung aus Wirtshaus, Bar und Tapas-Lokal. Das Erkennungszeichen: die rote Papierlaterne, das „Akachochin“, das draußen leuchtet und signalisiert: Hier gibt es Drinks, Snacks und Gesellschaft.
Innen erwartet die Gäste eine Atmosphäre, die mit „gesellig“ nur unzureichend beschrieben ist. Es zischt, knistert und klappert. Der Grill brutzelt, Gläser stoßen an, und irgendwo ruft jemand seine Bestellung durch den Raum. Die Theke ist oft das kommunikative Zentrum: dicht, warm, manchmal rauchig – wobei neuere Rauchverbote in Japan seit 2020 (Quelle: GoTokyo) für ein familienfreundlicheres Klima sorgen.
Besonders spannend aus Gastronomen-Sicht: Die soziale Dynamik. In Izakayas fallen starrere Hierarchien des Alltags für ein paar Stunden weg. Kolleginnen und Kollegen sitzen Schulter an Schulter, teilen Teller und tauschen sich aus. Diese Art der „Casual Hospitality“ schafft eine Atmosphäre, die auch im DACH-Raum immer stärker gefragt ist.
Ein japanischer Gastronom fasst es so zusammen: „In einem Izakaya bestellt nicht jeder für sich. Der Tisch biegt sich unter vielen kleinen Tellern, und genau das macht die Kommunikation so lebendig.“
3. Kulinarik & Umsatz: Teilen erwünscht
Kulinarisch folgen Izakayas einem einfachen Prinzip: Viele kleine Gerichte, die perfekt zum Alkohol passen und mitten auf den Tisch kommen. Das sogenannte „Sakana“ umfasst Klassiker wie Edamame, Yakitori-Spieße, frittiertes Karaage, Sashimi oder eingelegtes Gemüse. Es ist unkompliziert, schnell zu servieren und ideal zum Teilen.
Für Gastronomen interessant: Dieses Shared-Dining-Modell steigert in Japan nachweislich den Getränkekonsum – und damit den Pro-Kopf-Umsatz. Highballs (Whisky mit Soda), Bier, Sours oder Sake fließen gut, weil sich ständig jemand am Tisch verantwortlich fühlt nachzuschenken.
Ein weiterer Umsatztreiber ist das „Otoshi“: eine kleine Vorspeise, die als Sitzplatzgebühr dient und sofort auf dem Tisch steht – für gewöhnlich zwischen 200 und 700 Yen (umgerechnet etwa 1,50 bis 5,50 Euro). GoTokyo und Oryoki erläutern dieses System ausführlich: Es ist transparent, etabliert und überbrückt die erste Wartezeit, bevor die Küche warm wird.
Für deutsche oder österreichische Betriebe kann ein solches Konzept nur funktionieren, wenn es offen kommuniziert und qualitativ überzeugend umgesetzt wird – etwa als kleines Amuse-Gueule oder saisonaler Snack. Richtig gemacht, wird daraus ein charmantes Ritual statt eines Kostenpunkts.
4. Omotenashi: Die Kunst, Wünsche zu erahnen
Wenn das Izakaya die Bühne ist, dann ist Omotenashi die Seele dahinter. Der Begriff bedeutet vereinfacht: Gastfreundschaft ohne Vorder- und Rückseite, ohne Erwartung einer Gegenleistung. Es geht darum, für Gäste da zu sein, bevor sie überhaupt ein Bedürfnis formulieren.
Beispiele gibt es viele: Das warme Oshibori-Tuch im Winter zur Begrüßung, der automatisch nachgeschenkte Tee, das unaufdringliche Bemerken, wenn jemand ein neues Getränk möchte. Laut JapanDigest hat dieser Ansatz seinen Ursprung in der Teezeremonie, in der jede Begegnung als einmalig gilt („Ichi-go ichi-e“).
Ein Service-Trainer beschreibt es so: „Wir müssen lernen, Wünsche zu erfüllen, bevor der Gast sie ausspricht. Das ist der Unterschied zwischen Bedienung und echtem Omotenashi.“
Auch kulturell unterscheidet sich dieser Ansatz deutlich vom Westen: Trinkgeld spielt keine Rolle – guter Service ist kein Bonus, sondern Berufsethos. Das führt zu einer Haltung, bei der Gastfreundschaft nicht verkauft, sondern gelebt wird.
Für Hoteliers und Gastronomen hierzulande bietet Omotenashi eine wertvolle Perspektive: Emotionale Bindung entsteht nicht durch große Gesten, sondern durch feine Aufmerksamkeit. Ein zweites Kissen, das unaufgefordert gebracht wird; ein Wasser, das erscheint, bevor es nötig wäre; ein kurzer Moment der Begrüßung, der echt wirkt.
5. Transfer in die DACH-Praxis
Wie lässt sich das alles in einen deutschsprachigen Gastronomiealltag integrieren? Sehr gut, wenn man bei den Haltungen beginnt – und nicht bei den Ritualen.
Ein möglicher erster Schritt: Schulungen, die Mitarbeitenden das „Kuuki wo yomu“ näherbringen – das Lesen der Atmosphäre. Möchte der Gast ein Gespräch oder Ruhe? Ist der Tisch entspannt oder im Zeitdruck? Diese Fähigkeit macht den Unterschied zwischen standardisiertem Service und echtem Erlebnis.
Drei Ideen, die sofort umsetzbar sind:
- Izakaya-Pop-up-Abend: Einmal wöchentlich kleine Teller, Highballs und lockere Abläufe statt klassischer Speisekarte. Ideal, um neue Zielgruppen zu testen.
- Otoshi-Variante: Ein hochwertiger Mini-Snack als Gedeck – entweder moderat berechnet oder als Profilmerkmal gratis angeboten.
- Gemeinschaftselemente stärken: Getränke in kleinen Karaffen auf den Tisch stellen, damit Gäste sich gegenseitig einschenken können. Das schafft Interaktion und wirkt gleichzeitig hochwertig.
Auch Hotels profitieren vom Omotenashi-Prinzip: Der Empfang kann mit einer kleinen Aufmerksamkeit beginnen, der Frühstücksservice mit einem freundlichen „Irasshaimase!“ ergänzt werden – ein Ausruf, der schlicht „Herzlich willkommen!“ bedeutet und sofort Atmosphäre schafft.
Wichtig ist, dass all diese Elemente nicht als Show wirken, sondern als echte, warme Geste. Die Haltung dahinter zählt.
Fazit / Ausblick
Izakaya und Omotenashi zeigen, wie kraftvoll die Kombination aus lockerer Geselligkeit und feinfühliger Gastfreundschaft sein kann. Wer viele kleine Teller auf den Tisch stellt, fördert Gespräch, Nähe und Umsatz. Wer gleichzeitig die Wünsche der Gäste antizipiert, bevor sie ausgesprochen werden, schafft emotionale Bindung.
Die Leitfrage dieses Artikels beantwortet sich damit fast von selbst: Die Verschmelzung beider Konzepte eröffnet Gastronomen im DACH-Raum echte Chancen – von neuen Angebotsformen bis zu stärkerer Stammkundschaft. Und der Trend zur japanischen Küche jenseits von Sushi spricht dafür, dass diese Ideen bald noch relevanter werden.
Wenn Sie jetzt anfangen, ein wenig Izakaya-Vibes in Ihren Betrieb zu bringen – vielleicht erst mit einem Pop-up-Abend oder einer kleinen Omotenashi-Geste – sind Sie Ihrer Konkurrenz einen guten Schritt voraus.
Kurz-Check für Ihren Betrieb
- Haben Sie Gelegenheiten für Shared Dining geschaffen – auch nur für einzelne Wochentage?
- Gibt es mindestens eine kleine Omotenashi-Geste, die Gäste sofort positiv überrascht?
- Können Ihre Mitarbeitenden „die Atmosphäre lesen“ und entsprechend reagieren?
(Optionaler Hinweis für die Redaktion: Bildideen gemäß Research vorhanden.)