Montag, 22. Dezember 2025 GastroNews – Magazin für Profis
Konzepte & Business

Die gläserne Decke am Pass: Warum die Spitzengastronomie weiblicher werden muss

Die Gastronomie hat längst starke Frauen – doch an der Spitze bleiben sie rar. Während die Branche insgesamt vergleichsweise divers ist, zeigt der aktuelle Guide Michelin ein ernüchterndes Bild: Spitzenküchen bleiben Männerterritorium. Warum das so ist, welche Strukturen Frauen ausbremsen – und wie Gastronom:innen mit einem Kulturwandel dem Fachkräftemangel begegnen können.

1. Status Quo: Die einsame Spitze

Stellen Sie sich vor, Sie stehen im vollbesetzten Restaurant, Service ist auf Hochdruck, im Pass herrscht Präzisionsarbeit. Dort, wo Sterne gewonnen oder verloren werden, arbeiten fast ausschließlich Männer. Obwohl in vielen Betrieben Frauen längst selbstverständlicher Teil des Teams sind, sieht die Spitze der Branche anders aus.

Der aktuelle Guide Michelin zeigt es deutlich: Von 341 ausgezeichneten Küchenchefs in Deutschland sind gerade einmal 14 weiblich – das entspricht gut 4 Prozent. Und bei den neu vergebenen Sternen ging zuletzt nur einer an eine Frau: Cornelia Fischer vom Restaurant Überfahrt. Es ist ein Bild, das sich international wiederholt. In Frankreich, dem Mutterland der Haute Cuisine, ist Anne-Sophie Pic die einzige Frau unter 39 Drei-Sterne-Küchenchefs.

Das alles steht in starkem Kontrast zur übrigen Branche. Laut einer Erhebung von Chefs Culinar liegt der Frauenanteil in Führungspositionen in Gastronomie und Hotellerie bei rund 33 Prozent. Die Lücke zwischen „oben“ und „ganz oben“ ist also kein Randphänomen, sondern ein strukturelles.

Für Restaurant- und Hotelverantwortliche ist diese Diskrepanz mehr als ein soziales Thema. Sie ist ein wirtschaftlicher Risikofaktor. Denn die Branche kämpft mit akutem Fachkräftemangel – und lässt gleichzeitig ein enormes Potenzial ungenutzt.

2. Die Hürden: Warum Frauen verschwinden

Warum also schaffen es so wenige Frauen bis an die absolute Spitze? Ein Blick auf den Küchenalltag gibt Hinweise. Wer jemals eine hochambitionierte Küche geführt hat, weiß: Familienfreundlich ist anders. 16-Stunden-Tage, Doppelschichten, Wochenenden voller Service – kein leichter Rahmen für Menschen, die Care-Verantwortung tragen.

3-Sterne-Koch Kevin Fehling bringt es unverblümt auf den Punkt: „Frauen entscheiden sich für Familie und Kinder – und die Gastronomie ist sehr arbeitsunfreundlich wegen der Arbeitszeiten.“ Er betont gleichzeitig, wie sehr er weibliche Teammitglieder schätzt: „Ich ziehe Frauen sogar vor, weil sie disziplinierter sind und mehr Ruhe hereinbringen.“

Doch es sind nicht nur die Arbeitszeiten. Es ist der Umgangston. Die Sternegastronomie pflegt traditionell einen „Rough Tone“ – militärisch, hierarchisch, manchmal verletzend. Köchin und Aktivistin Sophia Hoffmann kritisiert seit Jahren diesen „sexistischen Grundton“, der gerade jüngere Köchinnen davon abhält, den Weg bis in die Führung zu gehen. Viele wechseln früh in die Patisserie, wo der Ton als feiner gilt – oder verlassen die Branche ganz.

Hinzu kommt ein Netzwerkproblem. Die Branche ist klein, informell und entscheidend geprägt von Weiterempfehlungen. Männer fördern oft Männer. Wer nicht Teil des „Old Boys Network“ ist, hat es schwerer, an die prestigeträchtigen Posten zu kommen. Für viele Frauen bedeutet das: trotz Talent und Ehrgeiz kein Zugang zu den entscheidenden Karrierewegen.

Für Betriebe ist diese Entwicklung fatal. In Zeiten knapper Personalressourcen kann man es sich schlicht nicht leisten, talentierte Fachkräfte durch veraltete Strukturen zu verlieren.

3. Der Wandel: „Female Connoisseurs“

Doch es tut sich etwas. Food-Trendforscherin Hanni Rützler beschreibt die Entwicklung als Trend hin zu „Female Connoisseurs“ – einer weiblicheren Esskultur, die zunehmend Einfluss auf die Spitzenküche gewinnt. „Die zarten Spuren des Gender Shift in der Food- & Beverage-Branche haben sich zu immer breiteren Tracks erweitert“, sagt sie.

Ein Argument, das auch Fachleute aus der Branche bestätigen. Für Christoph Kunz, 2-Sterne-Koch im KOMU, ist klar: „Frauenpower gehört mehr an den Herd. Frauen kochen subtiler und schöner.“ Gemeint ist damit kein Klischee, sondern eine echte Ergänzung in der Stilistik – von nachhaltigen Produktentscheidungen bis zu einer feineren Aromatik.

Moderne Küchenpolitik spielt ebenfalls eine Rolle. Köchinnen wie Parvin Razavi in Wien zeigen, dass Spitzenküche nicht automatisch mit Selbstausbeutung verbunden sein muss. Ihr Fokus auf pflanzenbasierte Küche, No-Waste-Strategien und eine 4-Tage-Woche für das Team gilt vielen als Signal, wie zukunftsfähige Gastronomie aussehen kann. „Dass mein Team zum Großteil aus Frauen besteht, darf gerne als klares Statement … interpretiert werden“, sagt Razavi.

Dieser Wandel trifft den Nerv der Zeit: Nachhaltigkeit, Teamkultur, gesundes Arbeiten. Alles Themen, die zunehmend darüber entscheiden, ob Betriebe Personal finden – und halten.

4. Best Practice & Lösungen

Es gibt sie: die starken Vorbilder. Sie sind noch nicht zahlreich, aber sie sind sichtbar – und ihre Sichtbarkeit ist entscheidend, damit junge Köchinnen Perspektiven sehen.

Zu den prominentesten Namen gehören:

Doch neben Vorbildern braucht es Strukturen. Dazu gehören Mentoring-Programme und Netzwerke wie „Leading Ladies“ oder ähnliche Zusammenschlüsse, die Frauen gezielt fördern. Für Unternehmen bedeutet das: aktiv anbieten, aktiv ansprechen, aktiv unterstützen.

Noch wichtiger sind aber die Rahmenbedingungen. Wer Frauen langfristig halten will, muss über Arbeitszeitmodelle reden. Viele Betriebe experimentieren bereits mit:

Das mag herausfordernd erscheinen, aber es ist machbar. Einige Restaurants berichten sogar von positiven Effekten: stabilere Teams, weniger Fluktuation, mehr Bewerbungen. In Zeiten des Fachkräftemangels ist moderne Personalpolitik kein „Nice-to-have“, sondern ein Wettbewerbsvorteil.

5. Fazit: Diversität als Überlebensstrategie

Die gläserne Decke in der Spitzengastronomie ist real – aber sie ist nicht unüberwindbar. Die Branche verliert heute wertvolles Talent nicht aus Mangel an Können, sondern an Strukturen. Wer Frauen gleiche Chancen bieten will, muss den Alltag in der Küche modernisieren: fairere Arbeitszeiten, respektvollere Kultur, bessere Vereinbarkeit.

Gemischte Teams gelten als kreativer, resilienter und näher am Zeitgeist. Und gerade in einer Branche, die von Kreativität lebt, ist das ein echter ökonomischer Faktor. Die nächsten Jahre werden zeigen, welche Betriebe diesen Wandel aktiv gestalten – und damit auch im Recruiting die Nase vorn haben.

Wenn Sie jetzt anfangen, Ihre Strukturen zu überprüfen und zu öffnen, sind Sie Ihrer Konkurrenz im Kampf um die besten Talente schon einen Schritt voraus.

Kurz-Check für Ihren Betrieb

Weitere Bilder