Donnerstag, 18. Dezember 2025 GastroNews – Magazin für Profis
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Viele Köche, ein Dach: Warum Food Halls das Gastro-Modell der Zukunft sind

Food Halls schießen in deutschen, österreichischen und schweizerischen Städten aus dem Boden – und verändern leise, aber bestimmt das Gastro-Ökosystem. Statt uniformer Food Courts setzen sie auf handwerkliche Küche, Kuratierung und Community. Für Gastronomen können sie Sprungbrett, Testlabor oder riskoarme Expansionschance sein. Doch der Trend hat auch Tücken.

1. Der Tod des Food Courts, die Geburt der Food Hall

Stellen Sie sich vor, Sie stehen in einem klassischen Mall-Food-Court: Neonlicht, Plastiktablett, die Auswahl zwischen Burgerkette A, B oder C. Funktional – aber ohne Seele. Genau dieses Modell verliert rasant an Attraktivität. An seine Stelle tritt die moderne Food Hall: ein kuratierter Mix aus lokalen Küchen, kleinen Manufakturen und Entertainment, der Gäste länger hält als jede Mall-Pause.

Das Prinzip kennen viele aus Städten wie London oder Lissabon. Seven Dials Market oder der Time Out Market haben vorgemacht, was passiert, wenn man Handwerk, Erlebnis und Gastronomie unter einem Dach bündelt. Jetzt schwappt die Welle ganz offiziell nach DACH: Berlin, Wien und andere Metropolen entdecken das Potenzial neu belebter Markthallen.

Der Gast von heute sucht kein schnelles „Rein und Raus“ – er sucht Erlebnis. Essen wird zum sozialen Event, zum Treffpunkt, zur Bühne. Food Halls liefern genau diesen Mehrwert: Vielfalt ohne Beliebigkeit, Qualität ohne Berührungsängste, Moderne ohne sterile Kettenästhetik.

2. Das Konzept: Community statt Konkurrenz

Wer eine Food Hall betritt, erlebt ein kleines gastronomisches Ökosystem. Zentraler Barbereich, offene Küchen, lange Gemeinschaftstische – alles darauf ausgelegt, Gäste miteinander in Kontakt zu bringen. Es ist nicht nur „Essen gehen“, es ist „Teil einer Szene werden“.

Für Betreiber und Gastronomen bedeutet das Modell: viel geteilte Infrastruktur. Lüftungsanlagen, Fettabscheider, je nach Konzept sogar Grundgeräte – all das stellt oft die Hall-Organisation. Dazu kommen Service- und Logistiklösungen, die normalerweise Einzelgastronomen viel Geld kosten würden: eine gemeinsame Bar, ein zentrales Abräumteam, ein einheitliches Kassensystem.

Moderne Halls wie Manifesto Market setzen zusätzlich auf Cashless-Only-Betrieb. Das ermöglicht nicht nur schnellere Abläufe, sondern auch eine tiefere Datenauswertung: Welche Küchen funktionieren wann? Welche Preispunkte? Welche Kombinationen führen zu höheren Warenkörben? Für viele Gastronomen ist das ein Datenschatz, den sie im klassischen Restaurantbetrieb kaum heben könnten.

Und dann wäre da noch das Entertainment. DJs, kleine Konzerte, Kochkurse – etwa das „Markträumchen“ in Wien – sorgen für zusätzliche Frequenz und verlängern Aufenthaltszeiten. Die Food Hall wird damit weniger zur „Futterstelle“, mehr zur urbanen Bühne.

3. Best Cases DACH: Von Berlin bis Wien

Ein Blick auf die aktuellen Vorzeigebeispiele zeigt, wie unterschiedlich die Konzepte sein können – und warum sie funktionieren.

KERB Berlin – 12 Küchen, eine Mission

Im ehemaligen IMAX am Potsdamer Platz hat KERB im Mai 2025 seine erste deutsche Hall eröffnet. 12 unabhängige Küchen auf 2.200 Quadratmetern, alle ausgewählt nach Persönlichkeit statt Markenerfahrung. Andrew Stones und James Brooks, die Köpfe hinter KERB, betonen: „Wir wollten nicht einfach copy-pasten, was in London funktioniert hat. […] Wir schaffen etwas, das bewusst inklusiv, lokal verwurzelt und voller Persönlichkeit ist.“

Das zeigt sich nicht nur in der Kulinarik, sondern auch im Mentoring: KERB gibt Start-ups Zugang zu Flächen, die sie sonst kaum erreichen würden. Für Gastronomen entsteht ein seltener Mix aus Freiraum und Prime Location – ohne Millioneninvestitionen.

Manifesto Market Berlin – Europas größter Food Hub

Nur wenige hundert Meter entfernt verwandelt Manifesto eine lange Zeit unterschätzte Ecke des Potsdamer Platzes in eine neue Destination. Gründer Martin Barry beschreibt den Zustand des Areals vor der Eröffnung als „fade und langweilig“. Heute stehen dort 22 Restaurants auf 4.400 qm – laut Business Insider der größte Food Hub Europas.

Manifesto setzt besonders auf Technologie: nahtloses Bestellen, eine starke Delivery-Integration und ein ausgefeiltes Cashless-System. 400 Küchen haben sich beworben, nur rund 22 wurden ausgewählt – Kuratierung pur. Das schafft ein konsistentes Qualitätsniveau und eine klare Handschrift, die Gäste spüren.

Markthalle am Naschmarkt – Wien mischt Markt und Gastro

Im November 2025 hat Wien eine neue Attraktion bekommen: die Markthalle am Naschmarkt. 850 qm, 13 Stände – jedoch nicht als reine Food Hall, sondern als Hybrid. Brot, Fleisch, Fisch für zuhause kombiniert mit einer „brutal guten“ Gastronomie, wie Gault & Millau schreibt. „Endlich hat Wien wieder eine zentral gelegene Markthalle mit lokalen Spezialitäten.“

Dazu kommt eine Dachterrasse und eine Schauküche: ein Konzept, das Genuss mit Erlebnis und Aufenthaltsqualität verbindet. Für Gastronomen eröffnet dieser Mix die Chance, sowohl Take-away-Kunden als auch Dine-in-Gäste anzusprechen.

4. Die Betreiber-Sicht: Vorteile & Synergien

Warum entscheiden sich immer mehr Gastronomen für einen Stand in der Food Hall? Viele Argumente liegen auf der Hand.

Gerringere Investitionskosten: Der individuelle Capex ist deutlich niedriger als bei einem eigenen Restaurant. Statt 150–300 qm Gastraum auszubauen, konzentriert man sich auf eine kompakte Produktionsfläche.

Top-Lagen zu vertretbaren Preisen: Food Hall-Betreiber sichern oft hochfrequentierte Immobilien – Lagen, die für Einzelgastronomen unerschwinglich wären. Durch das Gemeinschaftsmodell werden sie dennoch zugänglich.

Marketing-Synergien: Die Destination wird als Gesamtmarke beworben. Besucher kommen wegen eines Standes, bleiben aber wegen der Vielfalt. Für Gastronomen bedeutet das: mehr Cross-Traffic, weniger einzelner Marketingdruck.

Flexibilität und Experimentierfreude: Durch kürzere Vertragslaufzeiten können Betriebe Pop-ups testen oder neue Menüs erproben, ohne sich langfristig zu binden. Besonders für Start-ups ein attraktives Testfeld.

Ein Gründer eines jungen Ramen-Konzepts beschreibt es so: „Für uns als Start-up ist die Food Hall das perfekte Sprungbrett. Wir sparen uns den teuren Ausbau eines Gastraums und können uns voll auf das Produkt konzentrieren.“

5. Die Haken: Worauf Gastronomen achten müssen

So attraktiv das Modell klingt: Eine Food Hall ist kein Selbstläufer. Gerade Betreiber mit Gastroerfahrung wissen, wie wichtig es ist, die Fallstricke zu kennen.

Hohe Umsatzbeteiligungen: Statt Fixmiete arbeiten viele Halls mit Umsatzprovisionen. Je nach Standort und Betreiber liegen diese häufig im Bereich von geschätzten 15–25 Prozent. Das ist fair – solange die Frequenz stimmt.

Abhängigkeit vom Gesamtkonzept: Läuft die Halle nicht, leidet jeder Stand. Das Betreiber-Marketing trägt enorm zur Auslastung bei. Wer in einer schlecht laufenden Hall landet, kann noch so gutes Essen kochen – es wird schwer.

Lange Öffnungszeiten: Viele Betreiber verlangen 7-Tage-Betrieb. Das erhöht den Personalbedarf und den operativen Druck. Ein erfahrener Küchenchef bringt es auf den Punkt: „Die Herausforderung ist die Lautstärke und die Geschwindigkeit. Man muss in der Food Hall extrem effizient schicken – Zeit für lange Erklärungen am Gast bleibt kaum.“

Markenidentität: Zwischen vielen starken Konzepten die eigene Marke klar zu kommunizieren, ist anspruchsvoller als im eigenen Restaurant.

Fazit / Ausblick

Food Halls erleben nicht zufällig eine Renaissance. Sie sind Antwort auf neue Gästeerwartungen und gleichzeitig Chance für Gastronomen, mit weniger Risiko in Toplagen zu expandieren oder neue Ideen zu testen. Die Beispiele aus Berlin und Wien zeigen, dass Kuratierung, Erlebnis und Qualität entscheidend sind – nicht die Quadratmeterzahl.

Bleibt der Trend? Vieles spricht dafür. Die Nachnutzung großer Immobilien, neue Konsumgewohnheiten und der Wunsch nach urbaner Vielfalt werden Food Halls weiter stärken. Gleichzeitig wird der Wettbewerb zunehmen – nur gut kuratierte Konzepte werden bestehen.

Wenn Sie über Expansion nachdenken oder ein neues Konzept ausprobieren wollen, kann die Food Hall ein idealer Startpunkt sein. Wer jetzt Erfahrungen sammelt, könnte sich in einem wachsenden Markt frühzeitig positionieren.

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