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Über 200 Jahre Biergarten: Wie ein königliches Verbot zur Erfolgsgeschichte wurde

Ein Platz im Schatten der Kastanien, eine frische Maß und die eigene Brotzeit auf dem Tisch – der Biergarten ist mehr als ein gastronomischer Außenbereich. Er ist ein bayerisches Kulturgut mit weltweiter Strahlkraft. Doch was heute selbstverständlich wirkt, entstand aus einer Mischung aus Konkurrenzkampf, Kühlproblemen und einem königlichen Kompromiss, der die Branche bis heute prägt.

1. Einleitung: Mehr als nur Bier unter Bäumen

Stellen Sie sich einen warmen Sommerabend vor: Unter dichtem Kastanienblätterdach klirren Maßkrüge, Familien breiten Brotzeitkörbe aus, und irgendwo spielt ein Akkordeon. Diese Atmosphäre ist zur Blaupause geworden für gesellige Sommergastronomie weltweit – doch ihre Wurzeln liegen in einem eher trockenen Dokument vom 4. Januar 1812.

Damals legte König Max I. Joseph den Grundstein für das, was wir heute seit über 200 Jahren feiern: den bayerischen Biergarten. Die berühmte „Liberalitas Bavariae“ – die bayerische Lebensart – war jedoch nicht das Ziel der Verordnung, sondern das Ergebnis einer pragmatischen Lösung in einer wirtschaftlich angespannten Situation.

2. Der Konflikt: Brauer gegen Wirte

Reisen wir zurück in die Zeit vor 1812. Untergäriges Bier wie das Märzen benötigte kalte Temperaturen, um zu reifen. Also gruben Münchner Brauer tiefe Keller, oft bis zu 12 Meter in den Boden, besonders entlang des Isarhochufers. Im Winter lagerten sie dort riesige Mengen Natureis ein – zeitweise bis zu 500.000 Tonnen pro Jahr, wie zeitgenössische Berichte nahelegen. Nur so blieb das Bier auch in den Sommermonaten stabil.

Doch mit den kühlen Kellern kam ein neuer Anreiz: Warum das Bier mühsam in die Stadt transportieren, wenn man es direkt am Ort der Lagerung ausschenken konnte? So begann der „Gassenverkauf“ – unkompliziert, frisch und beliebt. Die Bevölkerung nahm das Angebot gerne an. Für die Münchner Wirte hingegen war es eine Katastrophe. Ihre Gäste blieben aus, ihre Einnahmen sanken. Also zogen sie vor den König.

Die Beschwerden hatten es in sich: Die Brauer würden unrechtmäßig Konkurrenz betreiben, hieß es. Gasthäuser, die ohnehin in wirtschaftlich schwierigen Zeiten standen, fürchteten um ihre Existenz. Der Konflikt eskalierte – und Max I. Joseph musste handeln.

3. Das Reskript von 1812: Ein königlicher Kompromiss

Am 4. Januar 1812 unterschrieb der König sein berühmtes Reskript. Darin heißt es:

„Seine Majestät der König bewilligen, daß die hiesigen Bierbräuer auf ihren eigenen Merzenkellern […] selbst gebrautes Merzenbier […] verschleißen und ihre Gäste dortselbst mit Bier u. Brod bedienen. Das Abreichen von Speisen und andern Getränken bleibt ihnen aber ausdrücklich verboten.“

Mit anderen Worten: Ausschank ja, Gastronomie nein.

Dieser scheinbar simple Satz entschärfte den Wettbewerb – und schuf gleichzeitig das, was wir heute als Brotzeitrecht kennen. Denn wenn die Brauer keine Speisen anbieten durften, brachten die Münchner ihre Schmankerl eben selbst mit: Radi, Wurst, Brezn, Käse. Das Selbstmitbringen wurde nicht nur toleriert, sondern zum charakteristischen Bestandteil des Biergartens.

Ein Historiker fasst es treffend zusammen: „Was als Schutzmaßnahme für die Münchner Gastwirte gedacht war, entwickelte sich ungewollt zum größten Alleinstellungsmerkmal der bayerischen Gastronomie: dem Recht, seine eigene Brotzeit mitzubringen.“

Für die Praxis bedeutete das: Brauereien konnten weiterhin Bier ausschenken und blieben konkurrenzfähig, ohne den Wirten die Hoheit über das Speiseangebot streitig zu machen. Ein früher Fall von Regulierung als Innovationsmotor.

4. Die Kastanie: Klimaanlage des 19. Jahrhunderts

Die charakteristischen Kastanienbäume kamen nicht aus dekorativer Laune in die Biergärten, sondern aus kaltem ökonomischem Kalkül. Die Keller mussten trotz Sommerhitze möglichst kühl bleiben. Eine einfache, aber geniale Lösung: Kies auf die Kellerdecken, um Hitze fernzuhalten, und darüber Bäume pflanzen.

Doch nicht irgendeinen Baum. Kastanien waren die perfekte Wahl:

So entstand das typische Bild: Kiesboden, Schatten, Biertische. Ein Design, das nicht nur schön aussieht, sondern technisch durchdacht ist – und das viele moderne Außenbereiche noch heute bewusst zitieren.

Mehr Details zur historischen Kühlung liefert ein Artikel der Freien Brauer: https://die-freien-brauer.com/biergarten/

5. Vom Verbot zum Kult: Die Bayerische Biergartenverordnung

Im Laufe der Jahrzehnte wurde der Biergarten zu einem Erfolgsmodell. Doch in den 1990er-Jahren begann ein neuer Konflikt: Lärmbeschwerden. Klassische Biergärten waren in Gefahr, durch strengere Auflagen eingeschränkt zu werden. Die Folge: eine regelrechte Biergartenrevolution.

Nach intensiven Debatten verabschiedete der Freistaat Bayern die „Bayerische Biergartenverordnung“. Sie schützt traditionelle Biergärten als bedeutendes Kulturgut und legt Rahmenbedingungen fest – etwa Sperrzeiten, zulässige Musik und das entscheidende Unterscheidungsmerkmal zum Wirtsgarten: das Brotzeitrecht.

Kurz gesagt:

Ein Wirt bringt es auf den Punkt: „Ein echten Biergarten erkennt man nicht an den Bänken, sondern daran, ob man seine Radieschen selbst mitbringen darf. Alles andere ist nur eine Terrasse.“

Wer das im Detail nachlesen möchte, findet Hintergrundmaterial etwa bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Biergartenverordnung_von_1812

Für Gastronomen ist diese Differenz wichtig, denn sie beeinflusst Genehmigungsprozesse, Lärmschutzauflagen und die gesamte betriebliche Planung von Außenflächen.

Fazit / Ausblick

Über 200 Jahre nach dem königlichen Reskript ist der Biergarten eine lebendige Erinnerung daran, wie aus Regulierung Tradition entstehen kann – und wie wirtschaftliche Zwänge manchmal zu den besten Innovationen führen. Aus einem Konflikt zwischen Brauern und Wirten wurde ein weltweit bekanntes gastronomisches Konzept, das noch heute Gäste anzieht.

Für Betreiber zeigt diese Geschichte, wie wertvoll klare Positionierung, ein starkes Narrativ und ein authentisches Angebot sein können. Gleichzeitig bleibt der Biergarten ein Beispiel für kluge Nutzung von Umweltbedingungen – von natürlichen Schattenspendern bis hin zu historischen Kühltechniken.

Und wie geht es weiter? In Zeiten steigender Temperaturen, steigender Energiekosten und wachsender Sehnsucht nach authentischen Erlebnissen könnten traditionelle Elemente wie natürlicher Schatten, einfache Gastronomieformen und gemeinschaftliches Sitzen wieder an Bedeutung gewinnen. Wer jetzt seine Außenflächen mit einer klaren Identität versieht, wird auch künftig Gäste begeistern.

Kurz-Check für Ihren Betrieb

Hinweis: Bildideen aus der Research-Datei können für die redaktionelle Gestaltung gesondert berücksichtigt werden.

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