Dienstag, 30. Dezember 2025 GastroNews – Magazin für Profis
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Pay-What-You-Want in der Gastro: Mutiges Experiment oder sicherer Ruin?

Keine Preise auf der Karte, kein doppelter Boden – und der Gast entscheidet am Ende, was ihm das Essen wert ist. Klingt waghalsig? Ist es auch. Doch Pay-What-You-Want-Modelle (PWYW) tauchen in der Gastronomie immer wieder auf, von studentischen Buffets bis zu Foodsharing-Cafés. Wir schauen, warum manche Betriebe damit überleben – und andere daran scheitern.

1. Die Rechnung schreibt der Gast

Stellen Sie sich vor, Sie öffnen Ihren Betrieb – und der Controller im Hinterkopf schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Keine Preise auf der Karte, kein Menü mit sauber kalkulierten Deckungsbeiträgen, sondern ein schlichtes: „Zahlen Sie, was Sie wollen.“ Genau das ist die Idee hinter Pay-What-You-Want.

Das Modell ist schnell erklärt: Der Gast konsumiert, und erst danach legt er den Preis fest. Anders als bei einer Spende handelt es sich dabei ganz regulär um Umsatz, der entsprechend verbucht und versteuert werden muss. Der Charme des Modells liegt in seiner Niederschwelligkeit: Jeder kann es sich leisten, und der Betrieb hofft auf maximale Auslastung.

Gerade in Zeiten hoher Leerlaufphasen – etwa beim Mittagstisch – klingt das wie ein verlockendes Werkzeug. Doch bevor Sie die Preise von der Tafel wischen, lohnt ein Blick auf die Psychologie dahinter.

2. Psychologie: Geiz vs. Fairness

Rein ökonomisch müssten Gäste eigentlich nichts zahlen. Der berühmte „Homo Oeconomicus“ würde sein Curry essen, freundlich nicken und mit 0 Euro zur Tür hinausspazieren. In der Realität passiert genau das so gut wie nie. Warum?

Ein Grund ist soziale Kontrolle. Wie Studien der LMU München zeigen, spielt der Moment der Interaktion eine entscheidende Rolle. „Wenn ich dem Kellner beim Bezahlen in die Augen schaue, macht das einen Unterschied“, erklärt ein LMU-Experte in einem Interview, das im Newsroom der Universität abrufbar ist (siehe LMU-Beitrag). Die soziale Norm schreibt vor, nicht als „Schnorrer“ dazustehen.

Sobald Anonymität ins Spiel kommt, kippt das System. In Versuchen zeigte sich: In Situationen ohne persönlichen Kontakt – etwa in einer Art Kantinensetting – zahlen Gäste im Schnitt signifikant weniger. Die Trittbrettfahrer-Quote ist hoch: Bis zu 40 Prozent zahlen weniger als den realen „Marktwert“.

Ein weiteres Problem: Preiswahrnehmung. Viele Gäste haben schlicht keine Vorstellung davon, was ein Gericht in der Herstellung kostet. Food-Journalistin Julia Floss beschreibt es so: „Viele unterschätzen die wahren Kosten – Miete, Personal, Energie.“ In Experimenten würden manche Gäste für ein eigentlich 15 Euro teures Gericht nur 2,50 bis 4,50 Euro zahlen, wenn man ihnen freie Hand lässt. Nicht aus Böswilligkeit – sondern aus Unwissen.

Der psychologische Spagat besteht also darin, dass PWYW gleichzeitig auf Fairness hofft und den Egoismus im Zaum halten muss.

3. Praxis-Check: Wo es funktioniert

Zwei Beispiele zeigen, wie unterschiedlich PWYW in der Praxis aussehen kann – und warum es bei manchen dauerhaft klappt.

Der Dauerbrenner: Wiener Deewan

Seit 2005 hält sich in Wien ein Konzept, das viele für unmöglich hielten: ein pakistanisches All-you-can-eat-Buffet ohne feste Preise. Das „Wiener Deewan“ ist längst Kult – nicht zuletzt dank einer treuen Studentenschaft.

Der Erfolgsfaktor: Masse. Die Gerichte sind einfach (Currys, Reis, Linsen), die Warenkosten niedrig, der Durchlauf hoch. Getränke hingegen haben Fixpreise – und sind oft der eigentliche Renditetreiber. Die durchschnittliche Zahlung pro Gast liegt bei 5–6 Euro. Kein Traumwert, aber bei niedrigem Wareneinsatz vertretbar. Eine Fallstudie der Universität Wien fasst das Konzept ausführlich zusammen.

Der Deewan zeigt: PWYW kann funktionieren, wenn Grenzkosten minimal sind und die Frequenz stimmt.

Das soziale Experiment: Raupe Immersatt

Ein ganz anderes Modell verfolgt das Foodsharing-Café „Raupe Immersatt“ in Stuttgart, über das die Stuttgarter Zeitung berichtet (Artikel ansehen). Hier geht es nicht um Rendite, sondern um soziale Teilhabe. Auf Basis geretteter Lebensmittel entsteht ein Begegnungsort, an dem Menschen zahlen, was möglich ist.

Im Ergebnis geben manche 50 Cent, andere 50 Euro. Ein kalkuliertes Ungleichgewicht: „Wir bewerten die Beträge nicht. Wer mehr zahlen kann, ermöglicht anderen die Teilhabe“, erklärt das Team sinngemäß. Getränkepreise bleiben jedoch auch hier ein wichtiger Fixpunkt.

Für Gastronomen zeigt dieses Beispiel: PWYW kann funktionieren, wenn der ideelle Mehrwert im Fokus steht – nicht der wirtschaftliche.

4. Das Hybrid-Modell als Strategie

Manchmal ist PWYW weniger Geschäftsmodell als Marketinginstrument. Ein Beispiel dafür ist das Frankfurter Restaurant „Kish“. Deutschlandfunk Nova beleuchtet das Konzept ausführlich (Beitrag lesen).

Mittags bietet der Betrieb ein PWYW-Buffet an, das häufig nur minimale Deckungsbeiträge erwirtschaftet. Manche Gäste zahlen einen Euro – manchmal sogar weniger. Betreiber Pourya Feily sagt sinngemäß: „Manchmal tut das weh. Aber ohne dieses Modell wäre der Laden mittags leer. Es ist meine Werbung.“

Und die Rechnung geht auf – aber eben nicht mittags. Das Buffet zieht täglich bis zu 100 Gäste an, von denen viele abends wiederkommen und dann zu regulären Preisen essen. Ein klassisches Hybrid-Modell: Der Mittag bringt Frequenz, der Abend bringt Marge.

Für viele Betriebe könnte genau das ein praktikabler Ansatz sein: PWYW nicht als Dauerzustand, sondern als strategischer Türöffner.

5. Die ökonomischen Spielregeln

Damit PWYW mehr Chance als Risiko ist, braucht es klare Rahmenbedingungen.

Erstens: Grenzkosten niedrig halten. Das Modell eignet sich praktisch nur für Buffets, Eintöpfe oder Gerichte, die sich in großen Mengen effizient produzieren lassen. A-la-carte-Küche mit hohem Personalaufwand ist schlicht zu teuer für variable Preise.

Zweitens: Getränke fix bepreisen. Fast alle langfristig erfolgreichen PWYW-Betriebe nutzen Getränke als Sicherheitsnetz – bei stabilen Margen.

Drittens: Preisanker setzen. Eine unverbindliche Formulierung wie „Empfohlen: 8–10 Euro“ hilft Gästen enorm. Studien zeigen: Der Durchschnittsumsatz steigt spürbar, weil Gäste Orientierung suchen. Ohne Anker zahlen viele unabsichtlich zu wenig.

Viertens: Saubere Kassenführung. Variable Preisgabe bedeutet nicht variable Buchhaltung. Das Finanzamt akzeptiert jede Summe – solange sie korrekt registriert wird. Schlampigkeit führt hier schnell zu Ärger.

Und nicht zuletzt: Trinkgeld kommunizieren. Viele Gäste wissen nicht, ob ihr Wunschpreis schon ein Trinkgeld beinhaltet. Ein dezenter Hinweis kann Missverständnisse vermeiden.

Fazit / Ausblick

PWYW ist kein Allheilmittel – und schon gar kein Ersatz für solide Kalkulation. Es funktioniert selten als alleiniger Erlösbringer, aber sehr gut als Marketinginstrument, als Community-Baustein oder in Konzepten mit extrem niedrigen Grenzkosten. Die Beispiele zeigen: Ohne Getränke-Marge, Preisanker und klare psychologische Rahmenbedingungen ist das Modell kaum tragfähig.

Für die kommenden Jahre dürfte PWYW vor allem dort an Bedeutung gewinnen, wo Gastronomie verstärkt soziale und ökologische Funktionen übernimmt – etwa in Foodsharing- oder Community-Projekten. Gleichzeitig könnten Hybrid-Modelle in urbanen Lagen zunehmen, wo mittägliche Frequenz wichtiger ist als hoher Einzelumsatz.

Wenn Sie das Modell testen möchten, starten Sie klein – und mit einem Gericht, das Ihren Wareneinsatz nicht ruiniert. Dann sind Sie Ihrer Konkurrenz einen Schritt voraus.

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