Donnerstag, 18. Dezember 2025 GastroNews – Magazin für Profis
Küche & Trends

Das Comeback der Fermentation: Vom Einmachglas zum Umami-Booster der Spitzengastronomie

Fermentation erlebt derzeit eine Renaissance – und zwar nicht im Kellerregal, sondern in den Küchen der internationalen Spitzengastronomie. Was einst ein Mittel zur Haltbarmachung war, wird heute zum Werkzeug für neue Aromen, Zero-Waste-Ideen und einzigartige Signature-Saucen. Für Restaurants und Hotels bietet der Trend nicht nur geschmackliche, sondern auch wirtschaftliche Vorteile. Und das Beste: Der Einstieg ist einfacher, als viele denken.

1. Mehr als nur Sauerkraut

Stellen Sie sich vor, Sie öffnen im Kühlhaus ein Glas, und statt der üblichen Gurken oder Kraut steigt Ihnen ein Duft entgegen, der an gereiften Käse, Sojasauce und Röstaromen erinnert – tief, warm, unglaublich komplex. Willkommen in der modernen Fermentationsküche.

Lange diente Fermentation vor allem einem Zweck: Lebensmittel über den Winter zu retten. Heute geht es um etwas ganz anderes. Es geht um Geschmackstiefe, um Umami und um das, was David Zilber, ehemaliger Leiter des Fermentation Labs im Noma, einmal „die Alchemie des Lebens“ nannte. Fermentation verwandelt einfache Zutaten in Aromenwelten, die man nicht kaufen kann.

Während früher Sauerkraut und Essiggurken dominierten, entstehen heute Saucen und Pasten, die ein Gericht so nachhaltig prägen wie ein guter Fond – nur mit weit weniger Aufwand und oft aus Zutaten, die sonst im Müll landen würden. Für Gastronomen wird Fermentation damit doppelt attraktiv: Sie liefert neue Signature-Aromen und hilft gleichzeitig, Lebensmittelabfälle zu reduzieren – ein Argument, das auch Gäste zunehmend zu schätzen wissen.

2. Der Gamechanger: Koji & Garum

Wer die moderne Fermentationsküche verstehen möchte, stolpert schnell über zwei Begriffe: Koji und Garum. Beide sind älter als jede europäische Weintradition – und gleichzeitig so aktuell wie nie.

Koji (Aspergillus oryzae) ist ein Edelschimmel, der traditionell auf Reis oder Gerste wächst. Er ist der Motor, der Miso, Sojasauce und Sake überhaupt möglich macht. Seine Enzyme bauen Stärke und Proteine ab und erzeugen dadurch Süße und Umami zugleich. Köche auf der ganzen Welt nutzen ihn heute, um eigene Fermente zu entwickeln – von Brot-Miso bis Gemüsesaucen.

Modernes Garum wiederum hat nur noch wenig mit dem römischen Original zu tun, das aus Fischinnereien und Salz bestand. In Restaurants wie Silo in London entsteht Garum, indem Proteine – Fleischabschnitte, Gemüse oder sogar verbranntes Wurzelgemüse – mit Koji, Salz und Wasser bei etwa 60 Grad Celsius fermentieren. Die Wärme hält die Enzymaktivität stabil und beschleunigt den Prozess: Statt Monate oder Jahre braucht ein Garum heute nur Wochen.

Das Ergebnis ist pures Umami: eine dunkle, vielschichtige Flüssigkeit, die Gerichten Tiefe verleiht. Und der Clou: Für modernes Garum braucht es keine Edelfische, sondern oft genau jene Reste, die sonst im Abfall landen würden. So wird aus dem, was bisher keine kulinarische Verwendung hatte, ein hochwertiger Aromabooster.

3. Best Practice: Das „Silo“-Prinzip

Wenn es einen Ort gibt, der zeigt, wie Fermentation Zero Waste praktisch möglich macht, dann ist es das Silo in London. Küchenchef Douglas McMaster ist bekannt dafür, radikal zu denken. Sein Ansatz: Kreisläufe schließen, Ressourcen nutzen, nichts verschwenden.

Im Silo entstehen Fermente, die international für Aufsehen sorgen – nicht nur, weil sie köstlich sind, sondern weil sie aus Teilen entstehen, die sonst entsorgt würden. Ein Beispiel dafür ist das Venison Sinew Garum: Wild-Sehnen, die man weder braten noch schmoren kann, werden geröstet und fermentiert. „Sehnen haben keinen kulinarischen Wert – bis man sie fermentiert“, sagt Ryan Walker, Leiter des Fermentationslabors des Silo. Das Ergebnis schmeckt intensiv fleischig, fast wie eine Essenz aus Wildfond.

Noch beeindruckender wird es beim Bread Miso: Altes Brot ersetzt Sojabohnen, der Koji macht den Rest. Das Miso dient als Basis für Dressings, Marinaden oder Gemüsegerichte – und verwandelt ein klassisches Abfallprodukt in einen kulinarischen Schatz.

Ein weiteres Beispiel: Das Burnt Beetroot Garum. Eigentlich war es ein Küchenunfall – verbrannte Rote Bete. Statt sie zu entsorgen, wurde sie fermentiert. Heraus kam eine sirupartige, dunkle Sauce, deren Komplexität an Balsamico erinnert.

Der Effekt dieser Herangehensweise ist beeindruckend: Laut einem Bericht von Foodism.co.uk konnte Silo seinen Kompostmüll von 10–15 Prozent auf unter ein Prozent reduzieren. Angesichts der Tatsache, dass allein in Großbritannien jährlich 10,7 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle entstehen, zeigt sich das Potenzial für die Gastronomie sehr klar.

McMaster selbst beschreibt Nachhaltigkeit als kreativen Motor: „Nachhaltigkeit ist der kreative Katalysator – am Ende geht es darum, die Umwelt nicht zu ruinieren.“ Ein Ansatz, der nicht nur ökologisch, sondern auch betriebswirtschaftlich Sinn ergibt.

4. Süße Revolution & DACH-Beispiele

Fermentation ist längst nicht mehr nur ein Thema für deftige Saucen. In Berlin zeigt das Dessert-Restaurant CODA, wie sich Fermentation für Süßspeisen nutzen lässt. René Frank verzichtet vollständig auf raffinierten Zucker. Die Süße seiner Desserts stammt aus fermentierten Stärken – etwa durch die Amazake-Technik, bei der Koji Getreide zu einer milde-süßen Creme verwandelt. Ein Beispiel: Hafer-Amazake-Eis, das zugleich cremig und überraschend komplex schmeckt.

Auch international tut sich einiges. Das Alchemist in Kopenhagen arbeitet im eigenen Forschungszentrum „Spora“ an neuen Fermentationsideen. Eine der bekanntesten ist „This isn’t Chocolate“ – eine Art Schokolade, die aus Treber, also Abfall aus der Bierproduktion, entwickelt wurde. Das Projekt zeigt, wie Fermentation nicht nur Geschmack, sondern auch Wertschöpfung aus Abfall erzeugen kann.

Ein weiteres Beispiel stammt aus den USA: Im Restaurant Audrey in Nashville werden Gemüsereste lacto-fermentiert und der entstehende Saft zu Sirupen eingekocht. Sie liefern eine intensive, natürliche Süße – ein Prozess, den die Küche dort „Squash times seven“ nennt.

Für die DACH-Gastronomie sind diese Beispiele inspirierend: Sie zeigen, wie viel kreatives Potenzial in Fermentation steckt – auch jenseits von Kimchi und Kombucha.

5. Einstieg für die eigene Küche

Die gute Nachricht: Für den Einstieg brauchen Sie weder Labor noch Spezialausrüstung. Viele Techniken lassen sich mit Gläsern, Salz und Sauberkeit umsetzen.

Lacto-Fermentation ist der einfachste Startpunkt. Sie funktioniert mit Gemüse- oder Obstresten, die Sie mit etwa zwei Prozent Salz in ein Glas oder einen Vakuumbeutel geben. Nach einigen Tagen bis Wochen entsteht ein komplexes Aroma, das sich vielseitig nutzen lässt: Die Lake eignet sich hervorragend für Vinaigrettes, das fermentierte Gemüse als Garnitur oder Bestandteil einer Vorspeise.

Auch die Bar profitiert: Fermentierte Fruchtsirupe verleihen Cocktails eine feinere Säure und mehr Tiefe als Zitrone oder Limette. Gerade in Hotels, wo kreative Drinks einen Unterschied machen können, ist das ein Geheimtipp.

Ein Prinzip sollten Sie dabei immer im Blick behalten – das „Türsteher-Prinzip“ von David Zilber: Gute Mikroben reinlassen, schlechte draußen halten. Sauberkeit ist der Schlüssel, damit Fermentation nicht zur Fäulnis wird.

Wer tiefer einsteigen möchte, findet im „Noma Guide to Fermentation“ ein Standardwerk, das die Grundlagen verständlich erklärt und Inspiration aus der Spitzengastronomie liefert.

6. Fazit: Geduld als Zutat

Fermentation verlangt Zeit, aber sie schenkt dafür etwas, das kaum eine andere Technik liefert: Tiefe, Komplexität und unverwechselbare Aromen. Für Gastronomen bedeutet das nicht nur neue geschmackliche Möglichkeiten, sondern auch konkrete wirtschaftliche Vorteile, weil Reste plötzlich wertvoll werden.

Die Leitfrage, wie Spitzenköche Fermentation nutzen, lässt sich klar beantworten: nicht mehr als Notwendigkeit, sondern als kreative Strategie, um Zero Waste umzusetzen und zugleich neue Signature-Dishes zu schaffen.

In den kommenden Jahren wird Fermentation weiter an Bedeutung gewinnen – nicht zuletzt, weil Nachhaltigkeit und Geschmack dabei Hand in Hand gehen. Wer jetzt die ersten Gläser ansetzt, ist der Konkurrenz einen Schritt voraus.

Kurz-Check für Ihren Betrieb

So starten Sie klein – und öffnen Ihrer Küche die Tür zu einer neuen Welt der Aromen.

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