1. Status Quo: Was im Handel bereits gilt
Stellen Sie sich vor, Sie stehen an der Supermarkt-Theke und lesen die kleinen Schildchen beim Schweinenacken: „Aufgezogen in: Frankreich. Geschlachtet in: Deutschland.“ Seit dem 1. Februar 2024 ist diese Angabe für unverpacktes Fleisch Pflicht – egal ob Schwein, Schaf, Ziege oder Geflügel. Was zuvor nur für verpacktes Fleisch und für Rind galt, wurde damit auf die Theke ausgeweitet.
Ziel der Regelung ist mehr Transparenz. Verbraucher sollen wissen, was sie kaufen, und sich bewusst für bestimmte Herkünfte entscheiden können. Medien wie die Tagesschau oder das Bundeslandwirtschaftsministerium haben die Neuerung damals als „logische Fortführung der EU-Vorgaben“ beschrieben.
Für die Gastronomie war das zunächst kaum relevant. Doch genau diese Pflicht dient nun als Blaupause für den nächsten großen Schritt.
2. Die aktuelle Rechtslage im Restaurant
Wer heute in Deutschland ein Steak bestellt, erfährt auf der Speisekarte meist wenig über dessen Herkunft. Und rechtlich ist das auch völlig in Ordnung. Anders als etwa in der Schweiz oder in Teilen Österreichs müssen Restaurants hierzulande bislang keine Herkunftsangaben machen – mit Ausnahme einiger Sonderfälle bei Rindfleisch, die sich aber überwiegend auf die interne Dokumentation beziehen.
Verpflichtend sind bislang vor allem zwei Dinge:
- Die 14 Hauptallergene
- Zusatzstoffe wie Farbstoffe oder Konservierungsmittel
Viele Betriebe werben trotzdem freiwillig mit Aussagen wie „aus regionaler Landwirtschaft“. Das ist erlaubt, allerdings nur, wenn es auch belegbar ist – sonst droht schnell eine Verbrauchertäuschung.
Kurz gesagt: Heute ist Herkunft meist Marketing, nicht Pflicht. Doch genau das dürfte sich bald ändern.
3. Die Pläne der Politik: Haltung & Herkunft
Jetzt wird es politisch – und für Gastronomen konkret. Ende 2024 legten die Regierungsfraktionen einen Gesetzentwurf vor, der das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz auf die Außer-Haus-Verpflegung ausweiten soll. Konkret geht es um zwei unterschiedliche, aber eng miteinander verknüpfte Themen:
Herkunft
Also die Frage: In welchem Land wurde das Tier aufgezogen und geschlachtet?
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir plant, diese Angabe verpflichtend für Restaurants einzuführen. Sein Argument: Wenn an der Theke Transparenz gilt, dann sollte sie auch beim Schnitzel in der Gaststätte gelten.
Haltung
Hier wird es detaillierter. Das staatliche Tierhaltungskennzeichen kennt fünf Stufen: Stall, Stall+Platz, Frischluftstall, Auslauf/Weide und Bio. Der vorliegende Entwurf sieht zunächst eine Pflichtkennzeichnung für Schweinefleisch in Gastronomie, Kantinen, Mensen und Imbissen vor.
Özdemir formulierte es bereits so: Wer Fleisch isst, soll wissen, wie das Tier gehalten wurde – egal ob im Supermarkt oder im Restaurant. Gleichzeitig betont sein Ministerium, dass mit dieser Transparenz deutsche Bauern gestärkt werden sollen.
Auch Verbraucherschützer begrüßen den Vorstoß. Ramona Pop vom Verbraucherzentrale Bundesverband sagte etwa, dass Gäste in der Speisekarte erkennen können sollten, woher das Fleisch stammt. Sie plädiert darüber hinaus dafür, auch verarbeitete Produkte einzubeziehen – also etwa das Fleisch im Ragout oder in der Bolognese.
Eine wichtige Entlastung ist bereits vorgesehen: Die Kennzeichnung darf digital erfolgen. QR-Codes auf dem Tisch, ein Hinweis am Monitor oder eine digitale Zusatzseite zur Karte sollen ausreichen. Damit sollen Gastronomen nicht jedes Mal ihre Speisekarten neu drucken müssen.
4. Herausforderung Praxis: Tageskarte vs. Bürokratie
Klingt vernünftig – wäre da nicht der ganz normale Küchenalltag. Viele Betriebe kaufen Fleisch tagesaktuell ein, oft abhängig vom Preis und der Verfügbarkeit. Heute Schweinenacken aus Deutschland, morgen aus den Niederlanden – und spätestens übermorgen steht das Tagesgericht schon wieder ganz anders auf der Tafel.
Das zentrale Problem: Wie soll ein Betrieb bei wechselnden Lieferanten und spontanen Einkäufen ständig die Karte aktualisieren?
Der Gesetzentwurf schlägt mehrere Lösungen vor:
- Allgemeiner Aushang:
Ein Beispiel wäre ein Schild wie „Unser Schweinefleisch stammt überwiegend aus Haltungsform 3“. Für Abweichungen muss dann aber ein Hinweis verfügbar sein – mündlich oder schriftlich.
- Digitale Alternativen:
QR-Codes, digitale Speisekarten, Bildschirme im Eingangsbereich – all das soll gleichwertig zur gedruckten Karte erlaubt sein. Gerade Restaurants, die ohnehin digitalisieren, könnten damit elegant umgehen.
- „Topf-Lösung“:
Nutzen Sie überwiegend Fleisch aus einer bestimmten Herkunft oder Haltungsform, dürfen Sie dies als Standard deklarieren. Einzelne Ausnahmen müssen Gäste aber dennoch einfach nachlesen können.
Für kleine Betriebe bleibt es aber eine Herausforderung, wie DEHOGA-Vertreter regelmäßig betonen. Die Verbände warnen vor einem „Bürokratiemonster“. Tagesaktuelle Anpassungen seien für viele schlicht nicht leistbar, schon gar nicht mit knappen Personalressourcen.
5. Pro & Contra: Chance oder Monster?
In der Debatte prallen zwei Sichtweisen aufeinander.
Contra – die Branche
Viele Gastronomen fürchten vor allem drei Dinge:
- zusätzlichen Bürokratieaufwand
- Fehlerquellen und mögliche Abmahnungen
- weniger Flexibilität beim Einkauf
Gerade kleine Betriebe mit häufig wechselnden Angeboten sehen die Pflicht skeptisch. Sie argumentieren, dass Transparenz wichtig sei, aber nicht zulasten der Arbeitsfähigkeit gehen dürfe.
Pro – Politik und Verbraucherschützer
Ihre Argumente:
- Gäste wollen klare Informationen
- Tierwohl ist für viele ein Kaufargument
- heimische Landwirtschaft wird gestärkt
Tatsächlich zeigen Befragungen im Rahmen des BMEL-Ernährungsreports regelmäßig, dass viele Menschen Wert auf Tierwohl und Herkunft legen. Der politische Druck Richtung Transparenz dürfte deshalb weiter steigen.
Die Chance
Zwischen all dem Risiko steckt aber auch Potenzial. Wer freiwillig transparent ist oder die künftigen Regeln früh umsetzt, kann Vertrauen aufbauen. In vielen Regionen lässt sich über „regional“ oder „aus artgerechter Haltung“ ein höherer Preis leichter vermitteln – vorausgesetzt, die Angaben sind sauber belegt.
Für Hotels und Restaurants mit einem klaren Konzept – etwa saisonal, regional oder bio – kann die Kennzeichnung sogar ein zusätzlicher Markenbaustein sein.
Fazit / Ausblick
Die Gastronomie muss sich darauf einstellen, dass Herkunfts- und Haltungsangaben bald Pflicht werden. Noch ist vieles im Fluss, doch der politische Wille ist klar erkennbar: Was im Handel gilt, soll auch auf dem Teller gelten.
Für Betriebe bedeutet das vor allem eines: Prozesse anpassen. Einkauf, Dokumentation und Speisekarte werden enger zusammenspielen müssen. Gleichzeitig entstehen Chancen: Transparenz verkauft sich gut – und wer vorbereitet ist, wird am Ende leichter durch die neuen Anforderungen navigieren.
Wenn Sie jetzt prüfen, wie flexibel Ihre Speisekarte ist und welche Daten Sie von Ihren Lieferanten erhalten, sind Sie Ihrer Konkurrenz bereits einen Schritt voraus.
Kurz-Check für Ihren Betrieb
- Haben Sie einen Überblick über die Herkunft und Haltungsform Ihres regelmäßig eingesetzten Fleischs?
- Können Sie Ihre Speisekarte kurzfristig oder digital anpassen?
- Gibt es ein einfaches internes System, um Lieferantenwechsel zu dokumentieren?
- Ist Ihr Team informiert, damit Auskünfte an Gäste sicher erfolgen können?