Montag, 29. Dezember 2025 GastroNews – Magazin für Profis
Management & Recht

New Work am Pass: Wie die 4‑Tage‑Woche und „Female Leadership“ den Fachkräftemangel kontern

Die Gastronomie kämpft weiter mit einem strukturellen Problem: zu viele offene Stellen, zu wenige Bewerber. Während manche Küchen noch im Modus „Harte Schule muss sein“ arbeiten, gehen andere mutig voran – mit 4‑Tage‑Woche, klaren Werten und neuer Führungskultur. Kann das wirklich funktionieren, ohne dass Qualität und Wirtschaftlichkeit leiden? Ein Blick in Betriebe, die es vormachen.

1. Der Elefant im Raum

Stellen Sie sich vor, Sie öffnen an einem Samstagabend Ihren Dienstplan und sehen: zwei Positionen nicht besetzt, eine Kollegin krank, ein Neueinsteiger, der noch nie Mise en Place für 80 Gäste gemacht hat. Für viele Betriebe ist das längst Realität. Allein in Österreich waren 2024 im Schnitt über 4.300 Stellen für Köche und Küchengehilfen unbesetzt – eine Zahl, die laut einer Analyse von heute.at deutlich zeigt, wie dramatisch die Lage geworden ist.

Der Druck ist so groß, dass viele Küchen inzwischen verstärkt auf Convenience-Produkte setzen oder das Angebot ausdünnen, weil schlicht das Personal fehlt. Doch geht das auch anders? Lässt sich Qualität halten – vielleicht sogar steigern –, wenn die Arbeitskultur neu gedacht wird? Die Antwort liefern einige Vorreiter, die nicht länger auf die Branche warten, sondern selbst die Initiative ergreifen.

2. Best Practice: Das Modell Parvin Razavi

Ein Beispiel, das aktuell viel Aufmerksamkeit erhält, ist das Restaurant &flora in Wien. Küchenchefin Parvin Razavi – Gault&Millau-Newcomerin 2023 – hat dort ein Arbeitsmodell umgesetzt, das in vielen Betrieben noch mutig klingt: eine echte 4‑Tage‑Woche mit drei freien Tagen am Stück. Keine 40 Stunden auf vier Tage gequetscht, sondern ein nachhaltiges Modell, eingebettet in ein klares Konzept.

Razavis Küche ist pflanzenfokussiert, Leaf-to-Root, modern, nachhaltig – und ihr Team überwiegend weiblich. „Dass mein Team zum Großteil aus Frauen besteht, darf gerne als klares Statement interpretiert werden“, sagt sie sinngemäß im Interview mit Ktchnrebel. Female Leadership ist bei ihr nicht nur Etikett, sondern gelebte Praxis: flache Hierarchien, respektvoller Umgang, klare Abgrenzung zu der Härte, die sie selbst früher erlebt hat.

Der Effekt? Bewerbungen kommen nicht nur häufiger, sondern auch von Menschen, die bewusst nach solchen Strukturen suchen. Für Gastronomen bedeutet das: Arbeitskultur wird zum entscheidenden Faktor im Employer Branding und ist längst wichtiger als ein zusätzlicher Euro pro Stunde.

Natürlich hat das Modell auch Herausforderungen. Drei freie Tage bedeuten, dass Dienstpläne noch genauer austariert werden müssen. Doch Razavis Beispiel zeigt: Wenn das Gesamtkonzept stimmig ist, wird aus einem vermeintlichen Risiko ein Wettbewerbsvorteil.

3. Der Generationen-Clash

Doch nicht alle sind begeistert vom neuen Kurs. Eine prominente Gegenstimme kommt von Spitzenkoch Tim Raue. Er argumentiert im Gespräch mit dem Spiegel, Spitzenleistung sei eben kein 9‑to‑5-Job. Sinngemäß sagt er: Wer Champions League spielen will, kann nicht trainieren wie ein Hobbyfußballer.

Damit adressiert Raue einen zentralen Konflikt: Wo endet notwendige Professionalität und wo beginnt ein Arbeitsmodell, das Talente eher abschreckt? Für viele junge Köchinnen und Köche steht Lebensqualität höher im Kurs als ein Stern über der Tür – und das verschiebt das Kräfteverhältnis im Arbeitsmarkt.

Für Betriebe heißt das: Man muss definieren, was man sein möchte. Ein Hardcore-Fine-Dining-Betrieb mit 14-Gänge-Menü braucht andere Strukturen als ein modernes Sharing-Konzept. Doch egal in welchem Segment: Eine Kultur, die aus Angst vor „Verweichlichung“ auf alte Muster setzt, wird es im Recruiting spürbar schwerer haben.

4. Fakten-Check: Die 4‑Tage‑Woche in der Hotellerie

Wie ein systematisch eingeführtes Modell aussehen kann, zeigt die Hotelgruppe 25hours. In Häusern wie dem Royal Bavarian in München oder den Standorten in Wien wurde die 4‑Tage‑Woche bei 36 Stunden und neun Stunden pro Tag eingeführt. Ein überschaubarer Schritt – und mit spürbarem Effekt.

Selina Huter aus dem HR‑Team beschreibt in einem Gespräch mit Stepstone: „Mit den neuen Arbeitszeiten haben wir es tatsächlich geschafft, mehr qualifizierte Bewerbungen zu generieren.“ Laut den Berichten des Unternehmens stieg die Bewerbungszahl regelrecht an, die Teams wurden ausgeglichener, die Fluktuation sank. Andere Branchen verzeichneten teils sogar Fluktuationsrückgänge von über 60 Prozent nach Einführung der 4‑Tage‑Woche, wie Stepstone berichtet.

Die Kehrseite: Mehr Personal bedeutet höhere Kosten. Auch die Einsatzplanung ist komplexer, denn 3‑Tage‑blöcke wollen koordiniert sein. Und wie Prof. Dr. Simon Werther vom Gastgewerbe Magazin betont: „Wenn ein touristisches Unternehmen die 4‑Tage‑Woche anbietet, kommt es nachweislich zu einer höheren Anzahl an Bewerbungen […]. Das kann aber nachlassen, wenn mehr Unternehmen diese anbieten.“ Mit anderen Worten: Die Arbeitszeit allein wird nicht dauerhaft reichen, wenn alle auf denselben Zug aufspringen.

Für Gastronomen ist deshalb entscheidend: Wer die 4‑Tage‑Woche einführt, braucht ein klares wirtschaftliches Konzept. Die Arbeitskultur ist ein Plus – aber kein Allheilmittel.

5. Mehr als nur Stunden: Der Ton macht die Musik

Viele Fachleute betonen, dass die reine Stundenreduktion nur die halbe Miete ist. Entscheidend ist die Art, wie geführt wird. Prof. Werther sagt es klar: Führung auf Augenhöhe, Feedbackkultur und echte Personalentwicklung haben oft größeren Einfluss auf Bindung und Motivation als ein freier Tag mehr.

Auch Razavi zeigt dies in der Praxis: Es geht um Respekt, klare Kommunikation und ein Miteinander statt militärischem Drill. Die alte französische Schule mit Gebrüll, Hitze und Hierarchie hat ausgedient – zumindest dort, wo junge Talente gehalten werden sollen.

Für Betreiber bedeutet das konkret:

Work-Life-Balance heißt eben nicht nur Freizeit, sondern auch ein Arbeitsumfeld, in dem Menschen gerne bleiben.

Fazit / Ausblick

Der Blick auf die Vorreiter zeigt: Ja, es gibt Alternativen zur „Knochenmühle Gastro“. Die Kombination aus moderner Arbeitszeitgestaltung, respektvoller Führung und einem klaren Wertekompass wirkt – sowohl bei motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als auch im Recruiting. Die 4‑Tage‑Woche ist dabei ein starkes Werkzeug, aber kein Selbstläufer. Erst mit einer echten Kulturveränderung entfaltet sie ihre Wirkung.

Für die kommenden Jahre deutet vieles darauf hin, dass Betriebe mit modernen Modellen im Vorteil bleiben. Gleichzeitig werden Kosten und Personalplanung anspruchsvoller – aber realistisch betrachtet wird der Arbeitsmarkt ohnehin kein Zurück in alte Muster erlauben.

Wenn Sie jetzt beginnen, an Dienstplanung, Führungsstil und Positionierung zu arbeiten, sind Sie Ihrer Konkurrenz schon einen Schritt voraus.

Kurz-Check für Ihren Betrieb

So schaffen Sie eine Arbeitskultur, die nicht nur Mitarbeiter anzieht – sondern sie auch hält.

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